ADAC Skandal: Eine Chronik des Vertrauensverlusts in den Allgemeinen Deutschen Auto-Club und wo er heute steht

Am Anfang des Jahres 2014 kamen durch Medienberichte erstmals Manipulationsvorwürfe gegen Deutschlands größten Autoclub ans Licht, die sich über Monate zum handfesten ADAC Skandal entwickelten. Wir haben uns angesehen, wie sich der ADAC Skandal entwickelt hat und wo der Automobil-Club vier Jahre danach steht.

Im Jahr 2014 wurde das Vertrauen der Deutschen in den Allgemeinen Deutschen Automobil-Club erschüttert: Manipulationen von Zahlen und Rankings sowie zweifelhafte Vorgehensweisen wurden offengelegt.

Januar 2014: Erste Vorwürfe, Dementi und das Geständnis

Manipulierte Zahlen bei der Publikumsabstimmung

  • 14. Januar: Die Süddeutsche Zeitung (SZ) zweifelte in einem Bericht erstmals die Vorgänge an, die zur Wahl des VW Golf zum „Lieblingsauto des Deutschen“ am Vortag geführt haben. So sollte mindestens in der Publikumsabstimmung des Jahres 2014 bei den Teilnehmerzahlen getrickst worden sein: Aus einer vierstelligen Zahl an Abstimmenden für den VW Golf wurde eine fünfstellige. Die SZ kam auf Grundlage ADAC-interner Dokumente auf nur 2.409 statt der angegebenen 34.299. Außerdem zweifelte der Bericht ebenfalls an der Wahl im Vorjahr.
  • 16. Januar: Damaliger ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair äußerte sich auf der Preisverleihung des „Gelben Engel“s zu dem SZ-Bericht vom 14. Januar und nennt ihn unter anderem „komplette[n] Unsinn“. ADAC-Präsident Peter Meyer sprach sogar von einem „Skandal für den Journalismus“, die ganze Geschichte sei „an den Haaren herbeigezogen“.
  • 19. Januar: Nur drei Tage nach den klaren Kommentaren der ADAC-Führungsebene gegen den SZ-Bericht gestand Michael Ramstetter, damaliger Kommunikationschef und Chefredakteur der ADAC-Mitgliederzeitung „Motorwelt“, was vorher noch als an den Haaren herbeigezogen bettituliert wurde: Die Zahlen waren nach oben korrigiert worden. Ramstetter übernahm dafür die alleinige Verantwortung.
    Präsident Peter Meyer erklärte sich zum „Garant[en] für die Aufklärung“; außerdem wurde vom Amtsgericht München die Überprüfung des Vereinsstatus des Autoclubs angekündigt.
  • 22. Januar: Meyer kündigte ein Reformprogramm für den ADAC an. Auf der Agenda sollten mehr Offenheit und Transparenz sowie eine direktere Mitgliedereinbindung stehen.

Angekratztes Image des ADAC

  • 23. Januar: Bei aboalarm stieg nach dem Rücktritt von Kommunikationschef Ramstetter das Kündigungsvolumen um über 400 Prozent an. Im Zeitraum vom 19. bis zum 21. Januar konnten wir im Vergleich zu den 1.938 Besuchen der Vorwoche bereits 11.393 Besucher auf der Kündigungsseite für den ADAC verzeichnen. Mehr zu diesen Zahlen hier.
  • 24. Januar: Der ADAC Skandal gerät ins Rollen: Zu den Manipulationsvorwürfen bei der Wahl der „Lieblingsautos des Jahres“ kam nun, dass die Rettungshubschrauber des Clubs, die durch Bundesmittel, Krankenkassenbeiträge, die Mitglieder des ADAC sowie Spenden finanziert werden, genutzt worden sein sollen, um Präsidiumsmitglieder, unter anderem auch Präsident Peter Meyer, zu Veranstaltungen zu fliegen.
    Der ADAC schwächte diesen Vorwurf gegenüber des Sterns ab: „Die Präsidiumsmitglieder sind als offizielle Organe dazu berechtigt, für dienstliche Anlässe bei Verfügbarkeit ausschließlich auf Reservemaschinen der Luftrettung zurückzugreifen.“ In zehn Jahren sei dies jedoch „weniger als 30 Mal“ vorgekommen.
  • 28. Januar: In einer aboalarm Umfrage unter ADAC-Kündigenden gaben 65 Prozent an, allein wegen des Skandals zu kündigen. Alle anderen Gründe lagen wein ganzes Stück dahinter.
    Bei der Vergleichsumfrage mit aboalarm Nutzern, die kurz vor dem Skandal gekündigt hatten, hatten die meisten gekündigt, weil sie keinen Bedarf mehr hatten. Hier geht’s zur Umfrage.
ADAC Kündigungsgründe vor ADAC Skandal
Überblick der Umfragewerte der Kündigenden kurz vor dem ADAC Skandal. © Aboalarm
ADAC Kündigungsgründe nach ADAC Skandal
Überblick der Umfragewerte der Kündigenden nach dem ADAC Skandal. © Aboalarm
  • 29. Januar: Auch eine Umfrage des Sterns über das Image des Autoclubs nach dem ADAC Skandal zeigte, was bereits spürbar war: 46 Prozent hatten zu diesem Stand eher geringes (29 Prozent) oder sehr geringes (17 Prozent) Vertrauen in den ADAC. Damit übertraf die Zahl derjenigen, die dem Club misstrauisch gegenüberstanden, die 44 Prozent, die großes (33 Prozent) oder sehr großes (11 Prozent) Vertrauen behielten.
    54 Prozent der befragten Mitglieder wünschten sich außerdem, dass sich der ADAC besser auf den Pannendienst konzentrieren sollte.
    Sieben Prozent der ADAC-Mitglieder gaben sogar an zu überlegen, den Automobil-Club zu verlassen.
  • 31. Januar: Zusätzlich zur ungewöhnlichen Nutzung der für die Rettung von Menschen in Not bestimmten Hubschrauber, förderten Medienberichte nun immer mehr zweifelhafte Vorwürfe ans Tageslicht: Ein ADAC-Regionalclub, der für den Geschäftsführer eine Villa baute, ein Hubschrauber, der 2006 für eine Zweitliga-Partie einen Fußballplatz trocken föhnte, eine Managerin, die 2012 ihren Sohn mitsamt Freund im Ambulanz-Jet in den Badeurlaub fliegen ließ, Werbe-Deals mit Firmen ranghoher ADAC-Funktionäre und die Prämienzahlung von Pannenhelfern für den Wechsel von Batterien, um die eigenen Batterien an den Mann zu bringen.

Februar 2014: Prüfbericht, Kündigungsanstieg und Bestätigung der Vorwürfe

Deloitte enthüllt ganzes Ausmaß im ADAC Skandal

  • 3. Februar: Der ADAC vermutete rund 15.000 Mitglieder-Kündigungen in Folge des Skandals um die manipulierten Zahlen; eine Vielzahl von Kündigungen waren jedoch noch nicht bearbeitet worden. aboalarm ging daher eher von 60.000 Mitglieder-Kündigungen aus.
  • 5. Februar: In einem Bericht über angebliche Manipulationen bei Reifentests gemeinsam mit der Stiftung Warentest berief sich die SZ auf Informationen von Jan Hennen, ehemals langjähriger Michelin-Mitarbeiter: So sollen Reifenhersteller vorab erfahren haben, welche Reifenmodelle getestet werden, sodass diese gezielt optimiert werden konnten. ADAC und Stiftung Warentest wiesen solche Vorwürfe zurück.
  • 7. Februar: Nicht nur die Teilnehmerzahlen bei der Wahl zum „Lieblingsauto des Jahres“, sondern auch die Ranking-Reihenfolge sollten manipuliert worden sein.
  • 10. Februar: Der lang erwartete Prüfbericht des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte bestätigte die Manipulationen bei der Wahl zum „Lieblingsauto des Jahres“ 2014.
  • 17. Februar: Nach weiterer Überprüfung fand Deloitte heraus, dass auch die Reihenfolge der preisgekrönten Fahrzeuge vom ADAC vertauscht worden war. BMW, Volkswagen und Daimler kündigten an, ihre Preise zurückzuschicken.

März 2014: Erstmals leichte Abnahme von Mitgliedern

  • 4. März: Der ADAC gab einen Anstieg auf 186.000 zusätzliche Kündigungen aufgrund des Skandals an; die Bearbeitung von 26.000 Kündigungen stand jedoch noch aus.
    Die absolute Mitgliederzahl sank erstmals seit 10 Jahren, um 2500. Einen Abwärtstrend der ADAC-Mitgliedschaften hatten wir bereits im Januar 2014 vermutet.

Mai 2014: Fokus wieder auf die Mitglieder

  • 7. Mai: Der neue ADAC-Präsident August Markl verkündete in einem Interview, „die Interessen der Mitglieder wieder in den Mittelpunkt“ stellen zu wollen.

Juni 2014: 320.000 Mitglieder durch ADAC Skandal verloren

  • 30. Juni: Der ADAC soll aufgrund des Skandals 320.000 Mitglieder verloren haben.

Dezember 2014: Reformen hin zur Mitgliedergemeinschaft

  • 6. Dezember: In einer außerordentlichen Hauptversammlung wurde einstimmig ein Reformprogramm beschlossen. Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club wolle sich wieder an der Mitgliedergemeinschaft orientieren; außerdem sollten die Pannenhilfe und kommerzielle Tätigkeiten getrennt und die wirtschaftlichen Aktivitäten in eine Aktiengesellschaft ausgegliedert werden.

Fazit: Wo der ADAC heute steht

Personalwechsel für ein „zeitgemäßes Profil“

Seit dem ADAC Skandal ist die Führungsebene des ADAC, die vor dem Skandal an der Spitze war, aufgelöst worden. Neue Köpfe sollen den ADAC zurück zu seiner alten Pracht bringen.
Ob es unter dem Stern der Erneuerung ein gutes Zeichen ist, dass Vorwürfen von veruntreuenden Mitarbeitern scheinbar seit langem erstmals nachgegangen wird, und dass sich gerade bereits der zweite Finanzchef seit dem Skandal im Frühjahr 2014 vom ADAC verabschiedet hat, bleibt abzuwarten. Der langjährige Finanzchef Stefan Weßling hatte seinen Posten mit Erwartung auf einen „frische[n] Blick und neue Ideen“ an seinen ersten Nachfolger abgegeben – dem ADAC sollte damit „ein zeitgemäßes und zukunftssicheres Profil“ gegeben werden.

Strukturelle Änderungen hin zur sauberen Trennung

Doch auch strukturell hat sich der ADAC weiterentwickelt, vor allem in Hinsicht auf den zweifelhaften Einfluss der kommerziellen Tätigkeiten des Clubs auf den eigentlichen Vereinsstatus: Auf die vorher eher verschwommene Trennlinie der wirtschaftlichen Aktivitäten und des Vereinswesens hat der Automobil-Club mit einer Aufteilung in drei Bereiche reagiert.

Es gibt nun den eigentlichen Verein, unter dem mit der Pannenhilfe der für die meisten Verbraucher wichtigste Aspekt läuft. Diesem gehört zu drei Vierteln eine relativ neue Aktiengesellschaft, unter der nun zahlreiche Firmen, wie zum Beispiel die Versicherungen und der ADAC Verlag gebündelt sind. Das restliche Viertel der Aktiengesellschaft gehört dem dritten Teil des „neuen ADAC“, nämlich der ADAC Stiftung, die sich größtenteils mit Forschung beschäftigen soll.
So sollen Vorwürfe wie die Batterie-Thematik von Ende Januar 2014 gar nicht mehr aufkommen können.

Mitgliederanstieg mit Alterskluft

In puncto Mitglieder sieht es auch nicht mehr nach Talfahrt aus: So wurden im August letzten Jahres 20 Millionen ADAC-Mitglieder verzeichnet, was einem Anstieg von 5 Millionen Mitgliedern seit der Jahrtausendwende entspricht. Die halbe Million zusätzlicher Kündigungen im Jahr 2014 hat den Wachstum des ADAC also auf lange Sicht nicht gebremst. Mit einem stärkeren Internetauftritt wollen sie außerdem die Zahl jüngerer Mitglieder erhöhen, die an die der über 70-Jährigen noch nicht rankommt.

Vom wirtschaftlichen Fokus hin zur Besinnung auf die Mitgliedergemeinschaft?

Dafür werden alte Pläne reaktiviert, die durch den Skandal auf Eis gelegt worden waren: Zum Beispiel hat sich der ADAC mit dem Deutschen Segler-Verband und der Organisation der deutschen Motorbootfahrer zusammengeschlossen. Nachdem der Präsident dem ADAC anfangs vorgeworfen hatte, „allein aus wirtschaftlichen Interessen in alle Bereiche [der] Gesellschaft eingreifen“ zu wollen, spricht der Vorsitzende der Organisation der deutschen Motorbootfahrer jetzt von einem Wandel im ADAC.

Wirtschaftsjournalist Frank Wörner erkennt im Interview mit dem WDR ebenfalls einen Wandel: So sei der ADAC als ehemals größter Auto-Lobbyist eher von der Seite der Autohersteller abgerückt, und stelle sich nun auch mal gegen diese, beispielsweise mit eher verbraucherorientierten Ansichten im Dieselgate.