Arbeitszeugnis: Was bedeutet eigentlich durchschnittlich?

Ein aktuelles Urteil wirft viele Fragen rund um das Arbeitszeugnis und die Benotung auf. Wir haben zu diesem Thema mit dem Fachanwalt für Arbeitsrecht, Dr. Michael Schreier, gesprochen.

In dem vorliegenden Fall hatte eine Empfangsmitarbeiterin einer Zahnarztpraxis geklagt, da sie mit der Note Drei, die ihr Arbeitszeugnis aufwies, nicht einverstanden war. Ihrer Meinung nach entsprach ihre Arbeit einer besseren Notenstufe, und das Zeugnis sollte daher geändert werden. Nachdem sie von zwei Instanzen Recht bekam, ging die Klage letztendlich vor das Bundesarbeitsgericht. Dieses musste sich vor allem die Frage stellen, ob die Note Drei nach wie vor dem Durchschnitt entspricht.

Wir haben zu diesem Thema mit Dr. Michael Schreier, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Hamburg, gesprochen. Außerdem beantwortet er uns auch ein paar ganz allgemeine Fragen zum Arbeitszeugnis.

Arbeitszeugnis: Fragen zum aktuellen Urteil

Herr Dr. Schreier, worum genau geht es in dem Urteil?

Es galt zu klären, was genau eine durchschnittliche Bewertung in einem Arbeitszeugnis darstellt. Der Ausgangspunkt war bisher regelmäßig die Note Drei, die als Durschnitt galt und auf die der Arbeitnehmer einen Anspruch hatte. War der Arbeitnehmer der Meinung, er wäre besser als der Durchschnitt gewesen, so musste er das beweisen. Sagte der Arbeitgeber hingegen, der Arbeitnehmer wäre schlechter als der Durchschnitt, also schlechter als eine Drei, so musste dieser das beweisen.

Das Arbeitsgericht musste nun klären, was genau denn Durchschnitt heißt. Eine Studie ergab, dass deutlich mehr als 85% aller Arbeitszeugnisse in Deutschland mit sehr gut oder gut – also Eins oder Zwei – bewertet werden. Die Klägerin brachte also vor, dass damit eine Drei im Arbeitszeugnis ja nur den letzten ca. 15% entsprechen würde und damit deutlich unter dem Durchschnitt liege. Somit müsse der Durchschnitt doch immer eine Zwei sein und keine Drei mehr.

Die beiden Unterinstanzen, die dies vor dem Bundesarbeitsgericht zu entscheiden hatten, gaben der Klägerin jeweils Recht. Doch das Bundesarbeitsgericht kam zu einem anderen Urteil: Es bleibt dabei, dass der Durchschnitt eine Drei ist, auch wenn die weit überwiegende Zahl aller Arbeitszeugnisse im Einser- und Zweier-Bereich liegen. Da spielt die Praxis in diesem Fall keine Rolle.

Für mich ist das durchaus nachvollziehbar, denn wenn man nun die Zwei als Durchschnitt festlegt, dann würde sich der Anteil der Zeugnisse mit einer Eins oder Zwei noch weiter erhöhen. Irgendwann wäre es dann soweit, dass selbst die Note Zwei unterdurchschnittlich wäre. Und in diesem Fall sagte das BAG eben auch, dass die Zeugniswahrheit hier eine wichtige Rolle spielt. Bei den in der Praxis häufig erteilten Zeugnissen mit der Note eins und zwei sind vermutlich auch einige Gefälligkeitszeugnisse dabei, die die wahre Leistung des Arbeitnehmers besser widergeben, als sie tatsächlich war.

Außerdem zeigt die Praxis ohnehin, dass es hier eher wenige Probleme gibt – die meisten bekommen ja ohnehin ein sehr ordentliches Zeugnis im oberen Notenbereich.

Was bedeutet das Urteil für mich als Arbeitnehmer? Muss ich davon ausgehen, dass Arbeitgeber nun vermehrt nur eine durchschnittliche Note vergeben?

Nein, man muss jetzt nicht prinzipiell davon ausgehen, dass die Arbeitgeber vermehrt nur noch eine Drei vergeben. Wie bereits erwähnt ist es ja bislang schon so, dass die allermeisten Arbeitnehmer ein gutes bis sehr gutes Zeugnis vom Arbeitgeber erhalten. Ich gehe auch nicht davon aus, dass sich in Zukunft wegen des neuen Urteils des BAG an dieser Praxis etwas ändern wird. Denn das Urteil ist im Ergebnis gar nicht so neu, sondern bestätigt nur, dass die Drei nach wie vor einer durchschnittlichen Leistung entspricht.

In dem vorliegenden Fall wurde von „zahlreichen Mängeln“ gesprochen, mit denen die Drei begründet wurde. Was waren das für Mängel?

Soweit ich es den veröffentlichten Urteilen entnehmen konnte, war der Vortrag des Arbeitgebers sehr pauschal, er hat nur gesagt, es habe gewisse Unzulänglichkeiten gegeben. Allerdings musste er auch nicht mehr vortragen, denn er kann ja durchaus ein durchschnittliches Zeugnis mit der Note drei ausstellen. Die Beweislast liegt ja beim Arbeitnehmer, der dann begründen muss, warum er eine bessere Note verdient hat. Hiergegen müsste der Arbeitgeber dann beachtliche Einwände entgegenbringen.

Wenn die Beweispflicht bei mir als Arbeitnehmer liegt – welche Möglichkeiten gibt es, eine mehr als durchschnittliche Leistung zu beweisen?

Gute Karten hat der Arbeitnehmer beispielsweise, wenn er ein relativ aktuelles Zwischenzeugnis hat. Denn wenn der Arbeitgeber vor einem halben Jahr ein Zeugnis mit einer Eins ausgestellt hat, wird es dann für den Arbeitnehmer im Prozess leichter zu beweisen, dass er deutlich bessere als durchschnittliche Leistungen erbracht hat.

Außerdem kann man auch Prämien- und Bonusregelungen heranziehen. Anhand der Ergebnisse solcher Regelungen sieht man ja auch, ob jemand besonders gute Leistungen erbracht hat oder eben nicht. Dazu können auch Jahresgespräche mit Leistungsbeurteilungen und entsprechenden prozentualen Leistungsangaben dienen. Ideal ist es natürlich, wenn man in einem Beruf arbeitet, in dem man die Leistung objektiv messen kann, wie z.B. anhand des Verkaufserfolgs. Solche Ergebnisse sollte man immer für sich sammeln, damit bei Bedarf dargelegt werden kann, dass man besser war, als im Arbeitszeugnis dargestellt.

Als nützlich erweisen sich auch betriebsinterne Auszeichnungen, also beispielsweise, wenn man ein besonders großes Lob bekommen hat. Am einfachsten ist es natürlich, wenn dieses schriftlich festgehalten wird, gegebenenfalls können aber auch Kolleginnen und Kollegen im Arbeitsprozess als Zeugen befragt werden.

Das alles bezieht sich jetzt auf die Leistung, aber es gibt ja im Zeugnis auch immer einen Bereich, der sich auf das Verhalten bezieht. Das ist es schon ein bisschen schwieriger zu beweisen, hier müssen dann die Kollegen im Zweifel sagen, wie man sich verhalten hat.

Arbeitszeugnis: Generelle Fragen

Was muss in meinem Arbeitszeugnis auf jeden Fall stehen?

Fast alle Arbeitnehmer verlangen ein qualifiziertes Zeugnis, also eines, das sich sowohl auf die Leistung als auch auf das Verhalten bezieht. Das Zeugnis muss neben dieser Leistungs- und Verhaltensbeurteilung aber auch immer eine genaue Tätigkeitsbeschreibung enthalten, die oft eine Art Auflistung darstellt – eine pauschale Beschreibung reicht hier nicht aus. Des Weiteren müssen Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses auf jeden Fall beschrieben sein.
Außerdem gibt es noch einen Punkt den man hier ansprechen sollte, das ist die sogenannte Dankes- und Bedauernsformel. Diese lautet in etwa: „Wir bedauern das Ausscheiden unseres Arbeitnehmers und wünschen ihm alles Gute für die Zukunft, beruflich und privat.“
Auf diesen Schlusssatz gibt es zwar rein rechtlich keinen Anspruch, dennoch leiten viele Arbeitgeber etwas Negatives her, wenn er fehlt. Das Fehlen kann darauf hindeuten, dass es Spannungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber gab. Daher sollte man immer Wert darauf legen, dass das Arbeitszeugnis diese Schlussfloskel beinhaltet. 

Habe ich ein Recht auf ein Arbeitszeugnis und für welche Stellen gilt dieses?

Ja, grundsätzlich hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Da ist es egal, ob es sich um eine Vollzeit-Stelle, Teilzeit-Stelle, Praktikums-Stelle oder eine sonstige Stelle handelt. Der Anspruch ergibt sich aus dem Gesetz und das gilt ebenso für Auszubildende.

Kann ich ein Zwischenzeugnis verlangen und wenn ja, wann sollte ich dies tun?

Im Prinzip kann ein Zwischenzeugnis jederzeit verlangt werden, man braucht nur ein sogenanntes berechtigtes Interesse daran. Allerdings sind die Hürden da nicht sehr hoch. Wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber beispielsweise sagt, dass er es braucht, weil er sich beruflich verändern will, dann reicht das schon. Oft wird der Arbeitgeber gar nicht fragen, weshalb man das Zwischenzeugnis haben möchte.
Nötig ist das Zwischenzeugnis natürlich, wenn man sich tatsächlich beruflich verändern will, aber auch, wenn man einen Vorgesetztenwechsel hatte. Denn der neue Vorgesetzte kann den Arbeitnehmer ja sonst für die vergangene Zeit gar nicht beurteilen. Ähnlich verhält es sich, wenn es einen Betriebsübergang gibt. Da sollte der alte Betriebsinhaber ein Zwischenzeugnis erstellen.

Natürlich muss man bedenken, dass jede Forderung nach einem Zwischenzeugnis, ohne dass es einen der zuletzt beschriebenen Gründe dafür gibt, immer auch eine gewisse Wirkung auf den Arbeitgeber hat. Denn dieser fragt sich berechtigter Weise, ob der Arbeitnehmer wohl unzufrieden ist und vielleicht sogar das Unternehmen verlassen will.
Natürlich kann es auch taktische Gründe geben, ein Zwischenzeugnis zu verlangen. Beispielsweise, wenn man dem Arbeitgeber einen Wink mit dem Zaunpfahl geben will, dass man sich auch anderweitig nach einer Beschäftigung umsehen könnte.

Wenn ich mit meinem Arbeitszeugnis nicht einverstanden bin, welche Schritte empfehlen Sie vor einer Klage?

Zunächst sollte das außergerichtliche Gespräch mit dem Aussteller des Zeugnisses gesucht werden – gegebenenfalls im nächsten Schritt auch mit einer ranghöheren Person oder Stelle. Dies kann die Personalabteilung im Unternehmen sein. Wenn das nichts bringt, kann man sich im zweiten Schritt an einen Anwalt wenden, um zu klären, auf welchen Zeugnisinhalt man überhaupt einen Anspruch hat. Denn viele Arbeitnehmer wissen ja gar nicht, ob ihr Zeugnis gut oder schlecht ist und was sie tatsächlich an Verbesserung verlangen und durchsetzen können. Das Gespräch mit einem Rechtsanwalt empfiehlt sich unter Umständen auch schon vor dem Gespräch mit dem Chef – je besser man informiert ist, umso besser kann man die eigene Position vertreten.

Sollte das Gespräch keinen Erfolg haben, kann der Anwalt – am besten ein Fachanwalt für Arbeitsrecht – nach außen hin auftreten, in dem er den Arbeitgeber anschreibt und mit ihm über das Zeugnis verhandelt. Als letzter Schritt bleibt dann natürlich der Gang vor Gericht.

Wenn ich nach einer Klage ein neues Zeugnis bekomme, sieht mein neuer Arbeitgeber irgendwie, dass dies eine zweite Version ist?

Nein, wenn der Arbeitnehmer klagt und gewinnt, hat er einen Anspruch darauf, dass das neue Zeugnis das Datum des alten, ursprünglichen Zeugnisses trägt. Auch inhaltlich darf man nicht erkennen, dass es sich um eine zweite Version handelt.

Können Sie uns noch ein Beispiel für die Formulierung einer Drei im Arbeitszeugnis nennen?

Hier nehmen wir am besten die Gesamtbeurteilung – also den Satz im Arbeitszeugnis, der die gesamte Leistung zusammenfassend beurteilt. Die Note Drei, die der Arbeitnehmer als durchschnittliche Leistung ja zunächst hinnehmen muss, hat zwei mögliche Formulierungen. Entweder: „Frau Müller arbeitete stets zu unserer Zufriedenheit“, oder: „Frau Müller arbeitete zu unserer vollen Zufriedenheit.“ Die beste Gesamtbeurteilung, also eine Note eins, lautet dann im Gegensatz dazu: „Frau Müller arbeitete stets zu unserer vollsten Zufriedenheit.
An den Beispielen sieht man, dass man schon eine gewisse Erfahrung haben muss, um auf Anhieb erkennen zu können, welche Note hinter den Formulierungen tatsächlich steckt.

Haben Sie noch weitere Tipps für unsere Leser?

Arbeitszeugnisse müssen zwar grundsätzlich der Wahrheit entsprechen. Dennoch gibt es einige Situationen, in denen über Zeugnisnoten verhandelt werden kann. So können Arbeitnehmer dann mit etwas Verhandlungsgeschick eine bessere Beurteilung erhalten, als sie sonst erhalten hätten. Solche Verhandlungen sind etwa im Rahmen einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht oder bei Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag üblich.
Hier ist es durchaus keine Seltenheit, die Zeugnisnote in den Vergleich oder Vertrag, den man im Rahmen solcher Verhandlungen schließt, mit aufzunehmen. Wenn sich diese Gelegenheit bietet, sollte man davon auf jeden Fall Gebrauch machen. Das Arbeitszeugnis ist für die berufliche Karriere und damit für das ganze Arbeitsleben von sehr hoher Bedeutung. Ich empfehle daher, jedes Arbeitszeugnis immer anwaltlich prüfen zu lassen und ggf. Änderungen durchzusetzen.

Über den Autor
Dr. Michael Schreier

Dr. Michael Schreier betreut als Fachanwalt für Arbeitsrecht Mandanten mit arbeitsrechtlichen Herausforderungen in ganz Deutschland. Seit 2010 ist Herr Dr. Schreier Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Dr. Schreier & Partner Rechtsanwälte. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen dabei unter anderem auf Kündigungsschutzklagen, Prüfungen von Arbeits- und Aufhebungsverträgen sowie Zeugnissen. Er tritt vor allen deutschen Arbeitsgerichten bis hin zum Bundesarbeitsgericht auf. Einen ersten Überblick über arbeitsrechtliche Fragen und einen ersten Rat finden Interessierte im Erste Hilfe-Ratgeber auf der Kanzlei-Website.

Website: http://www.dr-schreier.de/de/rechtsanwalt-hamburg